Donnerstag, 10. Oktober 2013

Romane dieses Jahres, deutscher Zunge

Ein Zwischenbericht

Bei den Romanen gibt es jene, wo Personen und Handlung die Geschichte tragen und solche, wo Gedanken und Einsichten die Sicht der Dinge und Ereignisse prägen. Manche bedienen sich viel des Dialogs, manche führen Gedanken und Beobachtungen aus. Geschmäcker sind verschieden, und alles hier ist sehr subjektiv.  Als ich die frischeingetroffene longlist für den deutschen Buchpreis im Sommer draußen am Tischchen vorm Laden zum ersten Mal durchlas, dachte ich bis auf einige wenige Male: "hmm, so doll ist's diesmal nicht". Inzwischen haben wir im Kreis fast alle Leseproben vorgelesen, und beim zweiten Hinhören ist doch ganz gut, was heuer an deutschsprachiger Prosa zusammenkam.

In 'Nie mehr Nacht' fielen uns das Grau und die Zugvögel auf, und es wäre ein Roman, der wegen der entfachten Neugierde zum Weiterlesen reizen könnte: Welche Vergangenheit verbindet die Geschwister und verursacht diese Düsternis? Bleibt das Grau ein Thema, das den Roman bis zur letzten Seite durchzieht?

Dutli mit seinem etwas expressionistisch-wildem Ansatz gefiel uns, und das laute Lesen bestärkte meinen ersten guten Eindruck. 'Soutines letzte Fahrt' überzeugt mich bislang inhaltlich und formal, und er gehört zu meinen Favoriten.

Glavinic bietet spannenden Stoff für Leser, die gerne beim Lesen etwas erleben wollen. Mich bedrücken Kindheitstrauma eher, und sprachlich blieb 'Das größere Wunder' bei mir auch nicht hängen.


Was mir immer gefällt sind gute Beschreibungen und die Fähigkeit von Autoren, eine Stimmung zu vermitteln. Gstrein in 'Eine Ahnung vom Anfang' schafft das in bester Tradition klassischer Romanciers; ein sehr gepflegter Stil. Altmodisch wie ich bin, gefällt das mir. Das Thema ist eher schwierig, aber durchaus nachvollziehbar. Ich dachte an Frischs Auseinandersetzung mit der Person und unserem Bild, das wir uns von ihr machen. Philosophische Aspekte sind mir durchaus willkommen im Roman.

Zu meiner Wahl mit Jirgl steh ich deswegen nach wie vor, und die Science-Fiction-Skeptischen in der Runde fanden, dass 'Nichts von Euch auf Erden' auch zu ihnen sprach. Wir lasen es vor der Bundestags-Wahl, und freie Gesellschaft und Umgang mit Resourcen, Technik und Verwaltungsstrukturen lagen da ja geradezu in der Luft. Jirgls Buch werde ich gerne eines Tages ganz lesen, wenn ich dazu komm. Konzentration verlangt es schon. Unbedingt heiter scheint es auch nicht zu sein mit dem technokratischen Jargon und einer Vision einer uniform bewältigten Welt, der Schlimmeres droht. Ich bin auch neugierig auf das Ende - it es eine vielleicht eine Homage an Bradbury?

Daniel Kehlmann: 'F' fanden wir gut geschrieben, die kleinen Gesten, Beobachtungen, Beschreibungen. Es geht um Spiegelung, Aufspaltung, wie es scheint.

Bei Judith Kuckart wussten wir nicht so recht, ob der 'Wünsche' auf etwas Komisches hinausläuft; so ein Wechselbad, das die Leseprobe an sensibler Einfühlung und an abstrusen Momenten aufbot. Wir mussten einige Male auflachen, ich hatte aber das Gefühl, als würde einem das Lachen bald vergehen.

Ähnlich ging es uns bei 'Frühling der Barbaren'. Da tauchen so wirkliche Typen auf. Diese Eigenheit von Preising, plötzlich im Gehen innezuhalten und vom ich-Erzähler, sich darüber jedesmal innerlich aufzuregen, amüsierte uns. Vermutlich ist dies einer der Romane, die in der Schilderung eigentlich eher trauriger Zustände und Entwicklungen der Komik nicht entbehren.

Die Leseprobe von 'In Stein' war - den Einblicken zum Roman in der Presse zufolge, die harte Passagen ankündigte - gnädig. Sie zeigt ein menschliches Porträt der erzählenden Prostituierten. Mir gefiel Meyers im Interview auf der 'Blauen Couch' Erklärung zum Titel, der aus seiner Archäologen-Tätigkeit herrührt: Dass wir auf den Steinen der vergangenen Städte leben und dass wir in vielen Jahren zu Stein werden tief unter den Städten der fernen Zukunft. Seine Idee ist, eine Zeit-Schicht sprachlich lebendig zu erhalten, und er scheint quirlig und fleißig daran gearbeitet zu haben. Meyer positioniert sich dabei selbstsicher zwischen Dos Passos und Döblin. Nun ja. ... Das Interview, oder eher seinen Monolog endete Meyer mit einer animierten, intensiven Litanei:  'kreisen, kreisen, kreisen', womit er eben dies Umkreisen des beschriebenen Augenblicks im Welt-Stadt-Geschehen meint, das zu fassen er sich bemüht. Deswegen erschöpften ihn diese drei Worte, wie es schien, total und ließen ihn endlich aller Worte beraubt ins Polster sinken.

Meyerhoff zu lesen (na, dieser lange Titel, sie wissen schon) war reines Vergnügen und beste Unterhaltung.

Mora,'Das Ungeheuer', war verstörend und für mich etwas überwältigend. Die Leseprobe bietet nur einen Ausschnitt der oberen Hälfte, und das beschrieb eine Art Oblomowiade, wobei der Traum weniger poetisch bezaubernd, aber dafür sehr viel kürzer ausfiel. Mora fasst allerdings diesen desorientierten Bereich zwischen Träumen und Wachwerden versiert in eine literarische Form. Insgesamt fanden wir alles sehr, sehr deprimierend, auch schon ohne die untere Stimme der Frau dazuzulesen. Nun denn, sie trägt den Preis. Gratuliere!

'Die Sonnenposition' lohnt bestimmt, ganz gelesen zu werden, weil Poschmann wirklich in einer schönen poetischen Sprache schreibt. Mir gefällt, wenn Gebäude zu Protagonisten werden, wie auch das leerstehende Sommerhaus in 'Zum Leuchtturm' von Virginia Woolf. Ganz gleich, warum es inhaltlich gehen mag, so hört man gerne dem Gesang von Poschmanns Sätzen zu und läßt sich hineinziehen. So etwas kann ein Roman ja auch, und ich bin mir sicher, dass dies nicht zu einer Fluicht gerät, sondern dass manhinterher die Welt mit wacheren Sinnen wahrnimmt, auch wenn der Inhalt nicht so wichtig wird. Aber wer weiß das schon nach einer kleinen Probe.

'Die Ordnung der Sterne über Como' fanden wir sehr bedrückend.

Die übrigen sieben Texte verteilen wir über die nächsten zwei Montage. Zusätzliche Kommentare, Zustimmungen und Ablehnungen sind wie immer herzlich willkommen. Die Vorleserunde steht allen offen. Herzlich willkommen!

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