Freitag, 28. Februar 2014

Iphigenie und der März


Reclam
Bantam

Bei den Taurern

Am vergangenen Montag lasen wir die ersten Szenen aus Iphigenie bei den Taurern bzw. Iphigenia in Tauris. Unsere alten Bantam Ausgaben sind von den Sechzigern, aber die gute Übersetzung von Moses Hadas und John Maclean ist zeitlos und immer noch lieferbar, und ich empfehle sie sehr.

Als Freund und Förderer des Reclam Verlags fällt es mir schwer, zu nörgeln. Es liegt auch wohl eher an den deutschen Altsprachlern, die sich einfach noch nicht freischütteln konnten von Bücherstaub und Wissenslast. Jetzt gibt es also die Neuübersetzung von Paul Dräger, die sicherlich sehr getreu nach der Vorlage sein mag, was Buchstaben und Satzzeichen angeht; aber wie sehr uns das Drama heute betrifft, das unmittelbar zu vermitteln schaffen eher die beiden englischsprachigen Übersetzer, die alles obendrein in einen tadellosen Rhytmus gefasst haben, den im deutschen Text zu finden uns nicht gelang.

Hier drei Beispiele bei Paul Dräger:
1. Iphigenie:
[...] 
und dass die Leute hier, die selber Menschentöter sind,
das Schlimme auf die Göttin schieben, glaube ich;
denn keiner der Daimonen, meine ich, ist schlecht.
2. und aus dem 1. Chorlied:
Blaue, blaue
Verengung des Meeres, wo die
fliegende Bremse der Io aus Argos
zur ungastlichen Landung übersetzte,
asiatisches Land
gegen Europa eintauschend!
3. und etwas Dialog:
              ORESTES
Sieh um dich! Hüt dich, dass kein Sterblicher ist auf dem
Weg!
              PYLADES
Ich sehe um mich, schaue, überall das Auge hinwendend.
              ORESTES
Mein Pylades, dünkt dies dich der Palast zu sein der 
Göttin,
wohin von Argos aus das Schiff zur See gelenkt wir 
haben?
Hier die selben Beispiele in der Fassung bei Hadas und Maclean:

1.
It is the men of this land, I believe, being themselves murderers, who lay their own guilt on the gods. No god, I am sure, can be evil.
2.
Dark, dark crossways of the sea, by which the Gadfly winged its way from Argos over the Inhospitable Surge, crossing from Europe into Asia's land!
3.
ORESTES. Look, take care that no one is in our path.
PYLADES. I am looking, I am turning my eyes and spying in every direction.
ORESTES. Pylades, do you think this is the goddess' temple
for which we sailed our ship over the sea from Argos?
de Gruyter
Hamburger Lesehefte
Freilich, Goethe, der bringt's in seinen Dramenfassungen auch. (Die Zitate entsprechen hier in etwa, weil Goethe einer anderen Erzählstruktur folgt.)

1.
IPHIGENIE. Um meinetwillen hab ich's nie begehrt.
Der mißversteht die Himmlischen, der sie
Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur
Die eignen grausamen Begierden an.
2.
Und gegen meine Seufzer bringt die Welle
Nur dumpfeTöne brausend mir herüber.
Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern
Ein einsam Leben führt! [...]
3.
PYLADES. [...] Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.
OREST. Uns führt ihr Segen, dünkt mich, nicht hierher.
PYLADES. Doch wenigstens der hohen Götter Wille.
OREST. So ist's ihr Wille denn, der uns verderbt.
Von Schiller existiert nur der Aulis Teil. In der Reihe Tusculum gibt es noch Dietrich Ebener und Ernst Buschor, Seite an Seite mit dem Originaltext auf Griechisch. Schön. Für Oxford übersetzte James Diggle. - All das wäre noch zu erforschen und zu entdecken - oder Sie haben vielleicht einen Kommentar zur einen oder anderen Übersetzung?

Vorlesen im März 

Der März beschert uns fünf Vorlese-Montage, und wir beginnen, wie immer am 1. Montag im Monat, mit Shakespeare. In der "Comedy of Errors" sind wir bei der zweiten Runde angelangt und mittendrin im Verwechselspiel, wie es so gut zur Karnevalszeit passt.

aus privatem Bücherschrank, Ausgabe ohne Jahr, vermutlich von Anfang 1900
Here's in the version by Charles and Mary Lamb (Tales of Shakespeare) a glimpse at all the cuddle-muddle that awaits us:
"When Antipholis of Syracuse had finished his dinner, he was so perplexed at the lady's still persisting in calling him husband, and at hearing that Dromio had also been claimed by the cook-maid, that he left the house, as soon as he could find any pretence to get away; for though he was very much pleased with Luciana, the sister, yet the jealous-tempered Adriana he disliked very much, nor was Dromio at all better satisfied with his fair wife in the kitchen; therefore both master and man were glad to get away from their new wives as fast as they could."
Reclam
  • Am zweiten Montag im März bleiben wir noch beim Roman von Gisela von Wysocki; Wir machen Musik, die 8. Runde, und immer noch sehr anregend und nachdenklich stimmend.
  • Nella Larsen in der Übersetzung von A. Dormagen hatte uns gut gefallen. Das dritte Kapitel kommt diesmals aus: Beat Sterchi; Blösch.
  • Am vierten Montag im März lesen wir Gedichte von Anna Achmatowa, die in diesem Monat Ihren 125. Geburtstag hat.

Vorlesemontag Programm März (PDF)

Donnerstag, 13. Februar 2014

Nella Larsen im Dörlemann Verlag


NYRB, 25. April  2002, S. 18 ff
Das Dritte Kapitel

Das ist das Schöne beim Dörlemann Verlag, dass er Schriftsteller für uns ausgräbt, wie beispielsweise Larsen - vorher nie von ihr gehört. In der New York Review of Books* habe ich nachgeschlagen und fand gleich einen vollen Artikel, in dem Darryl Pinckney über sie und über ihr schmales Werk schreibt. Nella Larsen gehört in den Kreis der Harlem Renaissance, und sie ist für uns heute deswegen lesenswert, weil sie sich mit der Herausforderung befasst, in der eigenen Haut zu Hause sein, wenn die Gesellschaft Normen ansetzt, denen man nicht Genüge tun kann. Das ist das Hauptthema ihres Romans Seitenwechsel. Seitenwechsel ist übersetzt für "Passing", der Titel, unter der das Buch 1929 in New York (Bei Alfred Knopf) zuerst erschien. Passing ist der Begriff, wenn ein Nachkomme einer Mischehe zwischen Schwarzen und Weissen als Weisser "durchgeht". Die Idiotie der Diskriminierung gebiert eine Masse an Schicksalen, und Larsen durchmisst eine gehörige Strecke des Schicksals zweier sehr unterschiedlicher Frauen in dieser Lage, Irene und Clare.

Dörlemann
Kanada und die USA haben den Februar zum Black History Month erklärt, und so ist es ganz passend, Nella Larsen zu lesen. Das werden wir in der Vorleserunde also am kommenden Montag, den 17. Februar, tun, und zwar: Das dritte Kapitel. Jeder ist dazu herzlich eingeladen.

Der Dörlemann Verlag ist ein Schweizer Verlag und er druckt wunderbare Bücher. Dieses Jahr im März auf der Leipziger Buchmesse ist die Schweiz zu Gast, die ironischerweise just in den Schlagzeilen ist mit dem erfolgreichen Bürgerentscheid zu nationaler Abschottung. Aber der Dörlemann Verlag und viele der tüchtigen Schweizer Verleger zeigen uns die gute Seite der Schweiz, und die gilt es zu stärken.

Nella Larsen
Seitenwechsel
Übersetzt von Adelheid Dormagen
Dörlemann
Das Buch kann man selbstverständlich auch erwerben. Es ist leinengebunden, liebevoll ediert und mit Leseband versehen und kostet 19,90 €.

* Viele Archivnummern der New York Review of Books, darunter die erwähnte, liegen hier im Laden zum Blättern und Schmökern im Lesewinkel bereit. Schauen Sie doch mal vorbei.